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Afrika Tagebuch - Report 7

Aus dem Englischen von Marco Boltz


  

Pretoria, sp�ter September 1999

 

Liebe Freunde,

Die Zeit vergeht recht schnell in S�dafrika. Meine Zeit, abzureisen, kommt nun schon schnell heran. Es ist schon erstaunlich, was Routine ausmacht. Seit meinem letzten Bericht hat sich in meinen beiden Jobs nicht viel ver�ndert.

Ich unterrichte immer noch an der Schule. In der typisch afrikanischen Weise sind alle Pl�ne, das PC-Labor aufzur�sten bisher nicht verwirklicht worden. Ich sitze immer noch auf der selben Ausr�stung und versuche, das Beste daraus zu machen. Erst k�rzlich wurde mir Geld f�r eine Aufr�stung versprochen, aber ich wurde letztendlich wieder vertr�stet. In anderen Worten, nichts Neues. Ehrlich gesagt, zweifele ich daran, da� das neue Zeug noch kommt, bevor ich meinen Aufenthalt hier beende. Und wenn ich erstmal weg bin, wei� nur noch der Herrgott, wie sich die Situation entwickeln wird. Diese Tatsache ist mir nicht egal, aber ich habe erkannt, da� ich recht wenig dagegen tun kann. Wenn ich viel l�nger hier bliebe, pumpe ich nur noch mehr Energie in dieses Projekt. Aber da ich ja bald weg bin...langsam macht sich Frustration breit.

Im Outreach sacken die Dinge auch immer mehr ab. Seitdem mein Bo� Pat fort ist, hatte ich recht wenig Anleitung. Ich suche eigentlich nach Schulen und Lehrern, um mich selbst zu schulen, damit ich Seminare aufbauen und mich besch�ftigen kann. Vorher hatte Pat jedesmal eine gro�e "zu-erledigen"-Liste f�r mich. Ich vermisse diesen Antrieb etwas. Aber ich habe weder genug Einsicht, Vision und Energie, um in diesem Projekt eine F�hrungsrolle zu �bernehmen. Au�erdem gibt es ziemlich viel Spannung in der Organisation, und mehr Leute werden uns bald verlassen. In vielerlei Hinsicht ist Outreach ein sinkendes Schiff bis ein guter Kapit�n wieder �bernimmt. Und ob das passiert, wei� keiner.

Meine Freizeit ist mehr individuell und "�rtlich" geworden. Alle meine fr�heren holl�ndischen Mitbewohner sind ausgezogen; ich teile den Kindergarten mit einem anderen Typ aus Holland. (Gottseidank, so kann ich bis zum Ende des Jahres hier bleiben! Nie mehr umziehen!).

Letztendlich verbringe ich sehr viel Zeit im Attridgeville-Township. Ich gew�hne mich mehr und mehr an das Township-Denken und verstehe auch viele Dinge besser. Au�erdem f�hle ich mich sehr wohl. Auf eine Art ist Att/ville viel mehr eine Gemeinschaft als meine Gegend (Sunnyside). In Att/ville kennt jeder jeden, in Sunnyside kennen die meisten Leute noch nicht mal ihre Nachbarn. Wenn ich jemanden im Township besuchen gehe, bekomme ich fast immer etwas zu trinken oder oftmals etwas zu essen angeboten. Alle sind so gastfreundlich. Da ist keine Feindseligkeit mir gegen�ber, aber normalerweise freundliche Neugierde (im schlimmsten Falle Gleichg�ltigkeit f�r den "Lekhoa" (wei�en Mann) ). Die Leute h�ngen ein bi�chen herum, besuchen sich gegenseitig, schwatzen und singen manchmal. Die Gegend pulsiert regelrecht am Abend, die Leute sind alle auf der Stra�e.

Im Gegensatz dazu herrscht in Sunnyside eine Menge Spannung. Es ist eine gemischte Gegend (ca. 50% schwarz, 50% wei�), aber die Menschen vermischen sich �berhaupt nicht. Wei� bleibt bei Wei� und Schwarz bei Schwarz, jeder mi�traut dem anderen. Schade eigentlich.

Sicher, es gibt sehr viel Kriminalit�t im Township, und einige der Geschichten �ber Gewalt, Vergewaltigung und Kindesmi�brauch sind grauenvoll. Aber ich war bisher noch nicht pers�nlich betroffen, und die Gegend von Att/ville, in der mich aufhalte, ist recht wohlhabend und sicher. Somit kenne ich nur dieses Gesicht von Att/ville. Ich denke wirklich, da� die Zeit, die ich mit meinen schwarzen Freunden verbringe, viel "echter" und "afrikanischer" ist als die Zeit unter den Wei�en, egal ob Ausl�nder oder nicht.

Eine Sache, die mich immer wieder st�rt, ist der ma�gebende Materialismus, besonders im Township (die l�ndlichen Gegenden sind nicht so schlimm und mehr auf traditionelle Moralvorstellungen wie die W�rdigung der �ltesten, Anbetung der Vorfahren etc. ausgerichtet).

Sicher kann man auf der einen Seite verstehen, da� noch viele Leute in ziemlicher Armut leben, und die, die es in die Mittel- oder Oberschicht geschafft haben, bleiben nicht lange in dieser Gegend. Somit kommt es ihnen viel mehr darauf an, einen Fernseher zu haben (oder zwei oder drei) als den Leuten aus dem Westen, die seit Jahrzehnten mit diesem Zeug aufgewachsen sind.

Trotzdem sind bei der Mehrheit der Menschen im Township die Dinge "schlicht und einfach". Hast du Geld, hast du ein sch�nes Auto - du bist Wer. Wenn nicht, tja, Pech gehabt. Angeberei und Prahlerei sind weitverbreitet. ("Wenn du dich nicht selbst in den Himmel hebst, tut es keiner f�r dich..."). Dinge wie pers�nliches Wachsen werden von den meisten Leuten eher bel�chelt.

Die gleiche direkte Regel gilt f�r Beziehungen, besonders bei jungen Menschen. Wenn ein Mann mit einer Frau ausgeht, bezahlt er alles. Als Gegenleistung schl�ft sie mit ihm. So gesehen, ist das ziemlich eindeutig Prostitution. Es liegt nicht bei ihr, dies zu entscheiden. Er bezahlt f�r sie - er v�... sie, so einfach ist das. Dies scheint ein weitestgehend akzeptiertes Prinzip zu sein. Das ist der Grund, warum die meisten Typen darauf bedacht sind, ihre "Investition" (ihre Frau) zu besch�tzen, wenn n�tig mit der Waffe. Da von echter Liebe zwar viel gesprochen, sie aber niemals als Voraussetzung f�r eine Beziehung angesehen wird, gehen die meisten M�dchen einfach mit dem h�chsten Angebot. Die Konsequenz: Nahezu 20% der Kinder zwischen 15 und 25 sind HIV-Positiv.

Ich habe es nie fertiggebracht, mich an diese Form von Beziehung zu gew�hnen, weswegen ich Single geblieben bin seitdem ich hier angekam. Ich bezweifle, da� sich das �ndern wird. Schade eigentlich...

Ich habe angefangen, meine Zeit nach S�dafrika zu planen. Eine Sache, die ich vorhabe, ist, nicht gleich nach meinem Dienstende nach Europa zur�ckzukommen. Ich m�chte noch 2 - 3 Monate durch das s�dliche Afrika touren bevor ich zur�ckgehe. Klingt nach einem guten Abschlu�, und au�erdem brauche ich vermutlich eine Weile bis ich den Kopf wieder frei habe.

Danach stehe ich dem Arbeitsmarkt zu freien Verf�gung. Ich recherchiere jetzt schon, f�r wenn ich arbeiten m�chte, auf welchem Gebiet usw. Dann ziehe ich los und greife mir den "idealen Arbeitgeber". Wenn jemand ein nettes Unternehmen kennt, vielleicht im Internet-Gesch�ft oder anderem High Tech, in dem es eine warme und pers�nliche Arbeitsatmosph�re gibt, la�t es mich wissen.

Vorher bin ich noch gegen Ende des Monats f�r zwei Wochen mit meiner Mutter und meinem Bruder auf einem Trip durch S�dafrika unterwegs. Ich freue mich schon darauf!

 

Euer Ingo

 

 

Pretoria, 20.9.1999

 

Ein leicht bitterer Geschmack

Ich habe einige h��liche Dinge in den letzten zwei Wochen gesehen. Zuallererst habe ich ein M�dchen hier in Att/ville gefunden, das nicht materialistisch zu sein scheint, das klug und lustig ist und au�erdem noch sehr sch�n. Und sie mag mich. Ihr gratuliert mir? Immer langsam! Ich mu�te erfahren, da� die Regeln hier etwas anders sind. Sie hat einen Ex-Freund, der aber mit dem Attribut "Ex" nicht ganz einverstanden ist. Sie sagt, sie h�tte sich schon vor langer Zeit getrennt; er sagt "fick dich ins Knie, du verl��t mich nicht, Schlampe". Diese Meinungsverschiedenheit ist schwerwiegend, da er jeden neuen Mann als seinen Rivalen und Angriff seiner "M�nnlichkeit" betrachtet. Der Fakt, da� ich wei� bin, macht den Sachverhalt nicht einfacher ("die Wei�en stehlen unsere Frauen..."). Die W�rze liegt in der Tatsache, da� er dazu neigt, Meinungsverschiedenheiten mit Kugeln auszudr�cken. Er hat bereits einen Mann und eine Frau in ihrem Schlafzimmer erschossen, weil er sie als "seine" Frau beanspruchte. Und das w�hrend er gerade eine Bindung (wenn man das so nennen kann) mit einer anderen hatte. "Ich ber�hre dich zum ersten Mal, du geh�rst mir f�r immer". Er hat keinen Tag im Knast verbracht. Er kam auf Bew�hrung frei und arbeitet jetzt f�r den S�dafrika Correctional Service - jaja, richtig geh�rt, er arbeitet f�r die Beh�rde, die die Gef�ngnisse in S�dafrika leitet. Er wurde niemals zur Verantwortung gezogen, er l�uft frei herum.

Aus diesem Grunde habe ich alle F�hler eingezogen. Ich rufe nicht an, ich besuche sie nicht. Es wurmt mich, da� mich ein Schl�gertyp davon abh�lt, jemanden kennenzulernen, den ich mag. Aber ich liebe mein Leben zu sehr, als da� ich irgendeinen falschen Zug mache. Es gibt hier einfach zu viele Leute, die vor Gewalt nicht zur�ckschrecken. Dies ist sogar die akzeptierteste Form der Konfliktbew�ltigung. Selbst die Mutter meines Freundes (eine Lehrerin mit zwei Abschl�ssen, eine kluge Frau) fragte mich, warum ich ihm nicht "eine reinhauen" w�rde, als ich mich einmal beschwerte, da� ich ihn l�stig f�nde. Was ist nur aus dem "hinsetzen und dar�ber reden" geworden.

Gerade erst heute fr�h sah ich, wie schnell man von Gewalt getroffen werden kann. Ich ging die Stra�e entlang, als zehn Meter von mir entfernt zwei Schl�gertypen (eine Wei�er und ein Schwarzer - gelobt sei das "Neue S�dafrika") einem Passanten Pfefferspray in die Augen spr�hten. Sie versuchten, ihm seine Brieftasche zu entrei�en, er lief davon, �ber die Stra�e - und direkt in einen Streifenwagen. Durch den Aufprall flog er 10 Meter durch die Luft. Er mu�te mit lauter Bandagen und Schienen abtransportiert werden. Ich frage mich, ob er durchkommt.

In einem Moment l�ufst du friedlich �ber eine Einkaufsstra�e, mit hunderten Leuten um dich, sicher um 10 Uhr morgens. Im n�chsten Augenblick betest, den n�chsten Tag erleben zu d�rfen. Das Beste ist, da� die beiden Ganoven ohne jede Eile den Schauplatz verlassen haben, auf nimmer Wiedersehen. Niemand h�tte den Versuch gemacht, sie aufzuhalten. Verst�ndlich - wer m�chte schon eine Kugel in seinem Kopf. Ich habe sie gesehen, ich war unmittelbarer Augenzeuge. Die Polizei machte sich nicht allzu viel M�he, meine Aussage aufzunehmen. Sie sehen solche Dinge so oft, es wurde kein Geld entwendet, er ist von selbst in das Auto gerannt - 99-%ige Chance, da� sie nicht einmal eine Ermittlung starten.

Wenn man so etwas einmal gesehen hat, f�ngt man an, zu verstehen, was die Leute veranla�t, ihre Sachen zu packen und wegzuziehen. Und dieser Vorfall war verh�ltnism��ig selten, und ich war pers�nlich nicht betroffen. Wenn du dich einmal auf den Knien mit einer Knarre in deinem Mund, bettelnd, doch blo� das Geld zu nehmen und nicht den Abzug zu dr�cken, wiedergefunden hast...ist die erste Telefonnummer, die du w�hlst, wenn du �berlebt hast, die der Umzugsgesellschaft oder die der teureren privaten Sicherheitsgesellschaften. Gl�ck f�r dich, wenn du das Geld f�r diese Option hast. Ansonsten sprichst du mit dem Waffenh�ndler von nebenan. Herzlich willkommen in deinem eigenen privaten Kriegsszenario.

Ich hatte einmal dar�ber nachgedacht, mir hier einen Job zu suchen. Die letzten zwei Wochen haben mich darin etwas entmutigt. Nat�rlich, S�dafrika hat eine Menge pure Energie, und es ist bestimmt nicht langweilig. Aber diese Energie nimmt allzu oft andere Formen an - Gewalt und Aggression. Damit m�chte ich mich einfach nicht identifizieren. Vielleicht w�re ein Leben in einer "sicheren und langweiligen" europ�ischen oder US-amerikanischen Stadt nicht eine derartige Herausforderung, aber allemal besser f�r meine mentale und k�rperliche Gesundheit.

...der gleiche Tag, 3 Stunden sp�ter:

 

Ich habe gerade von einem anderen Fall an meiner Schule geh�rt. Letzten Freitag (da war ich gerade nicht da) kam ein exmatrikulierter Sch�ler mit einer Waffe in die Schule. Er hatte eine Liste von Leuten bei sich, um die er "sich k�mmern" wollte. Offensichtlich machte er die Schule und einige Lehrer daf�r verantwortlich, da� er zum dritten Mal in Folge durchgefallen war.

Gl�cklicherweise bekamen die Lehrer von einem anderen Sch�ler einen Hinweis und riefen die Polizei. Die Waffe wurde zwar aus der Schule geschmuggelt bevor die Polizei eintraf, der Sch�ler wurde trotzdem festgenommen. Er sitzt jetzt im Knast und wartet auf seinen Proze�. Die Schule wird sich gegen eine Bew�hrungsstrafe aussprechen, da wir hier sonst nicht mehr sicher w�ren.

Derartige Dinge habe ich bisher nur in der Zeitung gelesen, mu� aber erkennen, wie real sie doch wirklich sind.

Es gibt viele Dinge an S�dafrika, die ich vermissen werden, wenn ich abreise. Aber ich wette, ich mu� nur an Vorf�lle wie den oben beschriebenen denken, um mir den Abschied nicht allzu schwer werden zu lassen.

 

 

21.10.1999

 

Der Trip mit meiner Mutter und meinem Bruder war gro�artig, wir haben alle die wundersch�ne Landschaft und Natur S�dafrikas genossen, so wie es sich f�r gute Touristen geh�rt. Sie wollen irgendwann hierher zur�ckkommen, es gibt noch so viel mehr zu sehen. Vor allem L�wen, die wir in den Nationalparks nicht entdecken konnten.

Ich habe noch etwas mehr als einen Monat Arbeit vor mir, und ich erwarte keine gro�en Ver�nderungen. In der Schule sind zu Zeit gerade Pr�fungen, weshalb es ab dem 8.11. keinen Unterricht mehr geben wird. Und im Outreach gehen die Dinge auch recht langsam voran. Ich mache morgen eine Grillfete, die erste Party, die ich seit langem wieder gebe. Ich hoffe, da� alle Leute, die ich hier kennengelernt habe, mit dabei sind. Interessanterweise werden nur einige unter 30 sein, das wird ‘ne ziemlich "alte" Party. Ich glaube, ich verliere die Verbindung zu meiner Altersgruppe... *grins*.

Wenn ich erstmal alles hier fallengelassen habe, will ich gro� auf Tour gehen. Urspr�nglich wollte ich zu Weihnachten wieder in Dresden sein und das Ding mit dem Millenium in Berlin feiern. Aber ich habe meine Meinung ge�ndert - ich mache anstattdessen einen Rucksacktrip durch das s�dliche Afrika. Im Dezember schaue ich mir Namibia an, dann erlebe ich irgendwo Weihnachten und die Jahrtausendwende. Danach geht’s nach Simbabwe, durch Sambia, Malawi, Tansania, Sansibar und wieder zur�ck durch Mocambique. Ich vermute, das ganze wird ungef�hr 2 Monate dauern, alles mit �ffentlichen Verkehrsmitteln. Ich freue mich richtig drauf!

Dann werde ich wohl auf die Jagd nach einen Vollzeit-Job gehen. Ich suche nach einem Job in einer m�glichst kleinen, schnell wachsenden High-Tech-Firma. Sowas wie ein Internet-Unternehmen vielleicht.

Im gro�en und ganzen sieht es so aus: Ich habe ein paar Gedanken gemacht und bin bei der Wahl meines Bet�tigungsfeldes zu folgendem Ergebnis gekommen: High Tech und/oder Business/Politik/Wirtschaft, kombiniert mit einer Menge interkulturellem Geist, eine Arbeit in Richtung Problem-Analyse/-Bew�ltigung/Beratung und Training und ein bi�chen Kreativit�t. Mische noch einen warme und pers�nliche Arbeitsumgebung, in der ich gefordert werde, dazu und du hast meinen Traumjob. Wenn ihr irgend etwas in der Art da drau�en kennt, sagt mir Bescheid, ok?!

Ich vermute, das wird mein letzter Bericht aus S�dafrika gewesen sein, wenn nicht etwas dramatisches passiert. Bleibt gesund, ihr h�rt von mir!

 

Ingo