Aus dem Englischen von Marco Boltz
Pretoria, S�dafrika, 02.03.1999
Liebe Freunde,
Ich habe eine ganze Weile nichts von mir h�ren lassen, tut mir leid.
Ich habe in letzter Zeit einiges durchgemacht und hatte einfach keine Zeit, Euch auf dem
Laufenden zu halten. Sogar jetzt ist meine Zukunft sehr unsicher, und ich wei� nicht, was
ich w�hrend der n�chsten paar Monate hier in S�dafrika tun werde. Aber zuerst la�t
mich Euch erz�hlen, was in der Zwischenzeit passiert ist.
In meinem letzten Bericht erz�hlte ich von meinem Vorhaben mit
AIDS-infizierten oder davon betroffenen Kindern im Mohau Children's Care Centre zu
arbeiten. Nun, das habe ich auch getan und mu� zugeben, da� ich eigentlich ein bi�chen
mehr abgebissen habe als ich kauen konnte.
Ich ging ins Mohau direkt nach meinem Rucksacktrip. Der Empfang war
freundlich aber es waren nicht sehr viele Leute anwesend, da die Weihnachtsferien gerade
erst vorbei waren. Meine Unterkunft bestand aus einem gro�en, unbenutzten und v�llig
leeren Wickelraum, der aus nichts au�er einem Bett bestand. Ich befand mich gleich neben
dem Raum der Kinder. So mu�te ich gleich "in dem Laden" leben, also direkt an
meinem Arbeitsplatz. Zusammen mit den Babys am Morgen aufstehen, sich den ganzen Tag um
sie k�mmern, und am Abend zusammen mit ihnen ins Bett gehen. schreiende Babys in jedem
bewu�ten Augenblick deiner Existenz. Ich blieb in dem Job f�r 3 Tage, 72 Stunden
durchweg. Dann war ich bereit, meine Niederlage zu akzeptieren.
Ich glaube, noch nie zuvor in meinem Leben so kl�glich versagt zu
haben. Die meisten der Kinder waren 3 Jahre oder j�nger, nur zwei waren 6 Jahre alt. Ich
hatte keine Ahnung von Kinderpflege, und sie hatten keine Zeit, es mir beizubringen. Sie
sagten einfach, "gehe dahin und mache dich n�tzlich!". Ich hatte keine
Vorstellung, was es hei�t, sich 8 Stunden um eine Horde Babys zu k�mmern. Ich war
eigentlich nutzlos, da und dort zu helfen und mich so fehl am Platze zu f�hlen. Dazu kam,
da� bei den Kindern zu sein, emotional enorm belastend ist. Nach Tag 1 hatte ich
Panikattacken, am Morgen aufzustehen. Ich f�hlte mich den ganzen Tag schwindelig und
schwach. Au�erdem entwickelte ich einen enormen Schuldkomplex. Letztendlich war es das,
was ich machen wollte. Dies war die Arbeit, die mich emotional wandeln und
Einf�hlverm�gen aufbauen sollte, die Ziele meines pers�nlichen Kreuzzuges. Die Schuld,
mich derart untergehen zu sehen, war vermutlich das schlimmste Gef�hl, das mich
hinunterzog.
Nach 3 Tagen war ich vernichtet. Ich dachte dar�ber nach, ins Ubuntu
zur�ckzugehen. Da war ich zumindest n�tzlich gewesen. Hier war ich das nicht, und ich
f�hlte mich sehr unbehaglich. Also sprach ich mit meinem neuen Bo� und meinem alten vom
Ubuntu und berichtete ihnen von meinen Gef�hlen. Beide bemerkten (ganz richtig), da� das
Unbehagen ein Teil des Wachstumsproze� w�re. Mein neuer Bo� ermutigte mich, der Sache
etwas Zeit zu lassen und mein alter Bo� beendete die Angelegenheit mit der Ablehnung
meines Vorschlags, zur�ckzukommen, wenn sich die Dinge im Mohau nicht einrenken sollten.
So blieb ich also. Wir vereinbarten, da� ich bei der Verwaltungsarbeit
helfen k�nnte. Dies am Morgen und Arbeit mit den �lteren Kindern auf einer 1:1-Basis am
Nachmittag. Au�erdem besorgte ich mir ein Zimmer in der Stadt und fuhr mit einem Kollegen
zur Arbeit und nach Hause. Und siehe da, die Dinge kl�rten sich sofort auf. Ich hatte
meine Privatsph�re und eine definiertere Struktur auf Arbeit. Ich gab gute
Qualit�tsarbeit ab und half sehr viel in allt�glichen Dingen. Ich begann auch meine
individuelle Anregungsarbeit mit "meinen" 3 �lteren Kindern sehr zu genie�en.
Die Dinge hatten sich eingerenkt. Ich entwickelte Loyalit�t zum Mohau und empfand, meinen
Platz gefunden zu haben.
Bis Ende Januar. Um Geld bei der Belegschaft zu sparen, wurden ich und
zwei weitere Vollzeitfreiwillige gefragt, wie wir �ber Wochenendarbeit denken w�rden
(ein Kinderpfleger kostet 40 Rands f�r einen ganzen Wochenendtag - ungef�hr 12 DM). Wir
waren nicht gerade begeistert, unser Wochenende zu opfern, um eine so geringe Menge Geld
zu sparen. Wir sagten, da� wir dies eher nicht tun w�rden, es sei denn es w�rde nicht
zu Regel werden oder in Notf�llen erforderlich sein. Die Vize-Projektmanagerin
pr�sentierte das dem Chef als "Verweigerung, am Wochenende zu arbeiten". Wir
wurden auf eine extrem r�de und respektlose Art und Weise zusammengestaucht und bekamen
sinngem�� mitgeteilt: "Ihr macht das was wir euch sagen, und wir k�mmern uns nicht
darum, was ihr wollt oder denkt!". Wir waren nicht gerade erfreut und beschwerten uns
bei unseren Betreuern �ber diese Behandlung. Aber wir machten auch den Kompromi�, einen
Plan f�r die Wochenendarbeit auszuarbeiten. Einen Tag sp�ter wurde mir mitgeteilt, da�
mein Betreuer hinzugezogen worden w�re. Meine Kollegen und ich vermuteten, da� ich
entlassen werden sollte und eigentlich jeder im Mohau sprach sich verteidigend f�r mich
aus, indem sie meinen Beitrag zum Centre hervorhoben.
Das machte die Dinge nur noch schlimmer. Der Chef mu�te beweisen, da�
er alleine verantwortlich war. Am Freitag dieser Woche wurde ich gefeuert. Das Management
wurde nicht befragt wie er es versprochen hatte, und die Begr�ndung f�r meine Entlassung
(ich mu�te auf eine bestehen, sonst h�tte er noch nicht einmal mit mir gesprochen) war,
da� "ich ein Einzelg�nger w�re, mit meinem eigenen Kopf" und da� er jemanden
wie mich zur Zeit in der Organisation nicht brauchen w�rde. Er deutete an, da� die
"Leute" in der Organisation nicht mit mir arbeiten k�nnten. Verwunderlich,
hatte doch jeder bis auf die Vize-Projektmanagerin zufrieden mit mir gearbeitet. Und
selbst sie hatte meine Arbeit nie �ffentlich kritisiert.
Sie hatte mich eine Woche zuvor zusammengestaucht, weil ich unserer
freiwilligen Hausmeisterin bei einer Arbeit geholfen hatte, die sie schon lange h�tte
erledigt haben m�ssen. Ich h�tte "Anweisungen nur von der Vize-Projektmanagerin
entgegenzunehmen, von niemand sonst". Also h�tte ich unserer Hausmeisterin sagen
m�ssen, "tut mir leid, aber du mu�t deine Arbeit alleine machen, ich arbeite nur
f�r die Vize-Projektmanagerin, danke sch�n", h�tte mich auf meinen Arsch gesetzt
bis letztere f�r ihre 2 Stunden am Tag antanzte und mir einen Job gab. Tolle
Arbeitsatmosph�re.
Naja, ich wurde trotz der Protestrufe von allen Seiten gefeuert und
wurde seither nicht mehr auf das Gel�nde gelassen. Mir ist noch nicht mal erlaubt, meine
Kinder zu besuchen. Mir wurde gesagt, da� dies "nichts pers�nliches" sei. Da
kann man sich seinen Teil ja denken.
Hinzu kam, da� mein Fall meine Betreuerin anfing zu nerven, da dies
der zweite Job war, den ich verschlie�en hatte. Sie riet mir, nach Deutschland
zur�ckzukehren. Ich w�rde meinen Dienst dort weiterf�hren m�ssen. W�re ich des
fr�hzeitigen Abbruchs des Dienstes f�r "schuldig" befunden, h�tte ich GANZ
VON VORN ANFANGEN M�SSEN, F�R VOLLE 13 MONATE. Ich war ver�rgert, m�de, am Boden. Ich
f�hlte mich, als ob jeder �ber mich hinweg trampeln w�rde.
Aber ich hatte vereinbart, mit einem anderen NGO (????....Anmerkung
des �bersetzers) zu arbeiten, und meine Betreuerin genehmigte das. Es war eine Arbeit
in der Innenstadt, mit Obdachlosen und mi�brauchten Frauen in einer streng
christlichen/missionarischen Einrichtung. Nach 3 Tagen dort, sp�rte ich, da� dies zu
diesem Zeitpunkt einfach zu schwierig war. Ich hatte keine Energie, keinen Antrieb, ich
war einfach m�de.
Dann h�rte ich von einer Township-Schule, die einen Computerlehrer
br�uchten. Ich rief dort an, ging hin, und sie sagten mir ich w�re ein "Geschenk
des Himmels". Seitdem arbeite ich dort. Es macht Spa�, Kinder der 9. und 10. Klasse
zu unterrichten, alle schwarz bis auf einen schwedischen Austauschstudent. Meine
Betreuerin genehmigte diesen Job. Ich f�hlte mich Zuhause und alles schien wieder in
seiner Bahn.
Dann gestern, wiedermal hat das Pech zugeschlagen. Das Management
entschied, die Schule zu schlie�en. Es hatte seit einiger Zeit einen Arbeitnehmerkonflikt
mit vor�bergehenden Streiks in der Schule gegeben. Hinter den Kulissen hatte der Konflikt
an einem Punkt eskaliert, an dem eine Weiterf�hrung der Schule f�r nicht m�glich
gehalten wurde.
Jetzt ist f�r den Donnerstag eine gro�e Versammlung angesetzt, auf
der die involvierten Parteien entscheiden, ob die Schule wieder ge�ffnet wird oder nicht.
Aber da ist wenig guter Wille, und das Schicksal der Kinder scheint nicht viel zu z�hlen.
Die Fronten sind verh�rtet und Kompromisse eher unwahrscheinlich. Wenn die Schule nicht
wieder �ffnet, bin ich wieder arbeitslos. Zumindest wird mich diesmal meine Betreuerin,
da es sich wirklich nicht um ein Verschulden meinerseits handelt, nicht ins n�chste
Flugzeug nach Hause setzen. Aber ich werde wohl wieder l�ngere Zeit nach einem neuen Job
suchen m�ssen.
Man kann sagen was man will, aber das Leben in diesem Land ist ein
st�ndiger Kampf. Es gibt soviel Gewalt in dieser Gesellschaft, nicht nur in Form von
Kriminalit�t. Dies ist keine Kultur der Debatten und Kompromisse. Die Menschen setzen
sich nicht hin und sprechen, wenn sie ein Problem haben. Sie feuern aus allen Rohren, und
der Schw�chere verliert. Es gibt nichts was einer Ann�herung an ein
Gewinner-Gewinner-Ergebnis �hnelt. Jeder bewacht sein Revier mit eisernen Z�hnen.
Machtpolitik und Vetternwirtschaft gelten mehr als die Erledigung der Arbeit. Information
wird nicht geteilt, sondern als Waffe gebraucht, um Gegner auszuschlie�en und
Gleichgesinnte zu bevorteilen. L�gen sind an der Tagesordnung, und niemand scheint
Skrupel zu haben, Falschinformationen zu verbreiten, wenn es dem eigenen Vorteil zu
Gen�ge reicht. Moralische Prinzipien sind sp�rlich ges�t. Als ein Au�enseiter watet
man st�ndig durch ein Minenfeld, man wei� nicht, wem man trauen kann und wem nicht.
Jeder reitet auf dir herum und versucht soviel wie m�glich aus dir herauszuholen. Wenn
sie dich nicht mehr brauchen, wirst du einfach entsorgt. Hinzu kommt der allgegenw�rtige
Rassismus.
Man kann hier eine Menge lernen, indem man sich seinen Weg erk�mpft
und seine Augen offen h�lt. Die meisten der Lektionen sind aber recht entmutigend. Dieses
Land ist f�r einen Optimisten die gr��te aller Herausforderungen.
Werde mal weitermachen,
Ingo