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Afrika Tagebuch - Report 4

Aus dem Englischen von Marco Boltz


 

Liebe Freunde,

Es ist der 3. Januar 1999 und die Dinge haben sich wieder mal geändert. Deshalb hier ein neuer Bericht.

Zuallererst hoffe ich, daß ihr alle ein wundervolles Weihnachten hattet und daß das letzte Jahr vor der Jahrtausendwende nur gute Dinge für euch bereit halten wird.

Hier unten hatte ich die Chance, mir ein bißchen frei zu nehmen und etwas von der Energie nachzutanken, die ich in den letzten Monaten verbraucht hatte. Ich war auf einem Billig-Rucksack-Trip, zuerst in Capetown (wundervolle Stadt, schlägt Pretoria um Längen), dann die Küste hoch. Ich habe mir die "Garden Route" angeschaut, sah eine Menge atemberaubende Landschaft und machte von der Blauwkranz-Brücke in Natures Valley den höchsten Bungee-Sprung der Welt (216m � yipeeeeeee!). Danach fuhr ich durch die ehemaligen Homelands Ciskei und Transkei (die "wilde Küste") wo die Küste bezaubernd und unberührt ist; Afrika in seiner ursprünglichen Form. Dort verbrachte ich auch Weihnachten, in Coffee Bay, mit "Lampe-am-Stock" (Ich hoffe das entspricht in etwa der ursprünglichen Bedeutung! J .....Anmerkung des Übersetzers), die 750ml-Bierflasche (Standardgröße hier!!), Champagner (alles kostenlos!!) und einer kleinen Bootsfahrt zu einer Flußmündung, wo wir Delphine entdeckten, sogar zwei Wale (außerhalb der Saison!). Außerdem habe ich einen Hai gesehen. Dieser Trip hat mich wieder etwas mit dem Land Südafrika versöhnt � seine Schönheit ist beinahe grenzenlos, und es gibt eine Menge mehr tolerante, weltoffene Menschen hier als ein Besuch in Pretoria vermuten läßt.

Die Energie, die ich auf diesem Trip gesammelt habe, werde ich in den kommenden Monaten aber auch dringendst benötigen. Die Entscheidung den Job zu wechseln war aufreibend, sogar bevor ich abreiste, und während des Trips hat sich das alles relativiert je mehr Abstand und andere Blickwinkel ich mir aneignete. Morgen früh werde ich endgültig für den Rest des Jahres und damit auch für den Rest meiner Dienstzeit ins Mohau Centre auf der Westseite Pretorias überwechseln. Mohau ist ein Sterbe- und Waisenheim für HIV-positive Babys oder durch HIV zu Waisen gewordene Kinder. Es liegt nahe an einem Township, auf dem Gelände des ehemaligen nicht-weißen State Hospital von Pretoria (Kalafong Hospital)).

Ich habe bereits 3 Tage hier verbracht und mit Babys gearbeitet, und es wird mir klar, daß dieser Job echt hart wird. Ich bin Säuglingspflege nicht gewöhnt, und der Job setzt voraus, daß ich eigentlich rund um die Uhr, die ganze Zeit Wärme und Aufmerksamkeit schenke. Ich bin noch nie ein besonders emotionaler Mensch gewesen, und für diese Arbeit ist mein Intellekt ziemlich nutzlos. Nach dem Verwaltungsjob im Ubuntu ist dies wahrscheinlich der größte Schritt in Richtung des Denken-Fühlen-Spektrums, das ich hier mitnehmen könnte.

Nach 3 Tagen war ich so erschöpft, daß ich schon wieder daran dachte, die Flinte ins Korn zu werfen und zu meiner statischen, aber SICHEREN Arbeit zurückzukehren. Wahrscheinlich zu meinem Glück hat mir mein Boß diese Idee für den Fall, daß sich Mohau als zu schwierig erweisen würde, wieder abgewöhnt. Jetzt muß ich weitermachen und brauche mich nicht mit der Frage "should-I-stay-or-should-I-go" (Song der Gruppe "The Clash", sinngemäß "Soll-ich-bleiben-oder-gehen"....Anmerkung des Übersetzers) herumzuschlagen. Im Mohau werde ich nicht bezahlt, ich werde kein Auto haben und werde direkt im Waisenheim wohnen (so gesehen ein 24-Stunden-Dienst, da man ja gar nicht weg kommt). Aber das Team ist wundervoll und unterstützend. Besonders Vater Barry, der Projektleiter, ist ein sehr verständnisvoller, ernsthafter und bodenständiger Mensch.

Ich hatte eigentlich ein bißchen gedacht, daß ich mich schon wenn ich mich um die Babys kümmere, in einen zutiefst verständnisvollen, einfühlsamen, neuen Ingo verwandeln würde. Tja, wieder mal gedacht. Nach dem zweiten Tag bekam ich schon beim Aufstehen am Morgen Panik, will ich vor meinem eigenen oh-so-begrenzten natürlichen Einfühlvermögen für die Babys Angst hatte. Meine Seele sträubte sich, berührt zu werden, sich zu lösen, und ich war selbst über meinen eigenen Rückfall schockiert. Dann versuchte ich, es zu erzwingen und brachte mich selbst an den Rand eines Nervenzusammenbruchs mit Übelkeit, zitternden Händen und so weiter.

Als ich Vater Barry meinen Zustand und Zweifel an meinen Fähigkeiten gestand, zeigte er keine Enttäuschung sondern ermutigte mich, mir selbst mehr Zeit zu geben, mich selbst weniger unter Druck zu setzen und den Dinge einfach ihren Lauf zu lassen. Ich vertraue ihm völlig und sehe in ihm einen Mentor und Wegweiser. Er und sein Team werden mir helfen, mit meinen Problemen klar zukommen. Dessen bin ich mir sicher.

Ich bin jetzt nochmal für einige Tage im Ubuntu, um noch einige Angelegenheiten zu regeln, meine Arbeit zu übergeben und mein Zeug zu packen. Morgen bin ich hier raus. Jetzt wo ich weiß, daß ich als Besucher hier bin, genieße ich die natürliche Schönheit der Farm viel mehr. Außerdem haben mich der große Zuspruch, die Unterstützung und die Ermutigungen, die ich von allen unseren Angestellten bekommen habe, zutiefst berührt. Ich werde ihnen fehlen, viel mehr als ich mir vorgestellt habe. Erst durch die Einstellung meiner Vorgesetzten hatte ich hier den Eindruck, eher toleriert als gebraucht zu werden. Ich fange gerade erst an zu erkennen, daß ich eine Lücke hinterlasse, die groß genug ist, um von Bedeutung zu sein. Und das, obwohl ich nur wenige Monate hier gewesen bin. Neben der Verwaltungsarbeit, die darunter leiden wird, habe ich auch (eher unbewußt) als Brücke zwischen unseren schwarzen Angestellten und meinem Boß fungiert, aufgrund meiner unvoreingenommenen Einstellung zu ihnen. Ich fühlte mich sogar (zum ersten Mal) schuldig, das Sterbeheim und die Patienten "zu verlassen". Vielleicht hätte ich den Weg zu meinem Wandel hier auch gefunden. Nicht so sehr durch die Arbeit, sondern durch die Abwendung von meinem selbstgesteckten Ziel, mich zu wandeln, und mein ganzes Selbst einfach der Unterstützung dieses Ortes zu widmen auf der Grundlage, daß es Menschen hilft, die diese Hilfe auch benötigen. Selbst so wäre ich hier aber nie wirklich glücklich geworden. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß ich ohne die Entscheidung zu wechseln nie bei diesee Einsicht und dem neuen Blickwinkel, den sie mir gegeben hat, angekommen wäre. Ich hätte vermutlich den Rest des Jahres 1999 damit verbracht, mich über meine verpaßten Chancen und den Mangel an persönlicher Wandel im Ubuntu zu ärgern.

Aber in diesem Falle ist die Entscheidung gefallen und kann nicht rückgängig gemacht werden. Ich werde vermutlich ab und zu nochmal vorbei schauen und meinem Boß am Computer helfen. Auf diese Weise bleibe ich mit meinen Freunden hier in Verbindung und kann nach dem Rechten sehen.

Ich hoffe, mich schnell im Mohau einzugewöhnen, so daß es bald wie ein Zuhause für mich wird. Für den Anfang versuche ich gesellschaftlichen Kontakt in Atteridgeville, dem nahegelegenen Township, zu bekommen. Ich weiß, daß Vater Barry daran arbeitet, einen Sponsor für eine Wohnung außerhalb der Arbeit und eine Transfermöglichkeit für mich aufzutreiben (damit ich etwas dem Streß entfliehen kann). Ich hoffe ja sogar, daß letztendlich doch noch etwas Geld hierbei herausspringt. Außerdem ging es den letzten drei Langzeit-Freiwilligen hier im Mohau derart gut, daß sie alle zurückkommen wollen. Mit ein bißchen Optimismus also werde ich letztendlich vielleicht doch noch eine wirklich schöne Zeit in Südafrika verbringen. Wünscht mir Glück!

Ich drück Euch,

 

Ingo