Aus dem Englischen von Marco Boltz
Liebe Freunde!
Dieser erste Bericht wird eher einfach ausfallen. Ich habe gerade erst Zugang zum
Internet bekommen und hatte noch keine Zeit, Fotos zu machen, sie einzuscannen und auf
diese Seite zu stellen. Ich hoffe demn�chst einen Scanner in Reichweite zu haben und
einige Schnappsch�sse zur Verf�gung zu stellen. Bis dahin wird einfacher Text gen�gen
m�ssen.
Aber nun zu meinem Bericht:
wie die meisten von Euch wissen, werde ich bis Ende 1999 meinen Zivildienst in
S�dafrika ableisten.
Nach einem langen und reichlich ereignislosen Flug kam ich am Montag den 7. September
1998 gegen 10 Uhr morgens in Johannesburg an. Mein Aufenthalt begann erstmal mit einem
Schock als ich erfuhr, da� auf dem Flug eine meiner Taschen verlorengegangen war (ich
bekam sie 2 Tage sp�ter zur�ck). Ich und mein Gep�ck wurde dann von meinem neuen
Bo�" Annelie Franken mit einem Landrover Defender abgeholt, und wir fuhren in
Richtung Pretoria (ca. 40 km von Joburg).
Als wir das Ubuntu Centre, mein neues Zuhause und Arbeitsplatz f�r die n�chsten 15
Monate, erreichten, war ich �berrascht, es ein ganzes St�ck au�erhalb der City anstatt
im Vorort Hatfield vorzufinden. Was ich nicht wu�te, war, da� sich NUR die Postbox vom
Ubuntu Centre im Vorort befindet; das Centre selbst liegt auf einem gro�en St�ck Land
ungef�hr 15 Autominuten au�erhalb Pretorias.
Zuerst hat mich diese Tatsache etwas ge�ngstigt. Ich hatte immer die Bef�rchtung,
w�hrend meines Dienstes von der Gesellschaft isoliert" zu sein, was mich dazu
brachte, Orte weit au�erhalb auszuschlie�en. Erwartete mich jetzt ein Leben in der
Wildnis? Gl�cklicherweise wurden in den ersten Wochen diese �ngste wieder beruhigt, als
ich, so wie meisten Leute im Ubuntu, sehr h�ufig in die Stadt fuhr. Aber dazu sp�ter.
Ich machte eine kurze Besichtigungstour und fand heraus, da� das Ubuntu Centre
ziemlich gro� ist. Es beinhaltet eine Waldorf-Schule (oder Rudolf-Steiner-Schule) mit
Klassen vom Grundschul- zum Gymnasium-Niveau, eine Polyklinik und ein Sterbeheim, und eine
Farm, die nach biodynamischen Methoden Lebensmittel herstellt. Das Gebiet des gesamten
Centres erstreckt sich �ber ein gro�es, offenes St�ck Land; man braucht ca. 20 Minuten,
um von einem zu anderen Ende zu laufen. Jeder, der ein Auto besitzt, benutzt es, um sich
auf dem Campus" zu bewegen.
Mein Ressort in dem ich arbeite und lebe, liegt im Sterbeheim - das Johannes Haus. Es
ist der Ort an dem t�dlich erkrankte Patienten gepflegt werde. Jeder von ihnen leidet
entweder an AIDS oder Krebs und wird sicherlich auch hier sterben.
Dies ist eine weitere �nderung des Plans". Ihr werdet Euch bestimmt
erinnern, da� ich erwartete, mit verhaltensgest�rten Kindern zu arbeiten. Wie auch
immer, die Arbeit mit diesen Kindern wurde kurz vor meiner Ankunft aufgegeben, da es sehr
schwierig gewesen war, sie zu resozialisieren und wieder in das Leben im Ubuntu zu
integrieren. K�rzliche Diebst�hle und Aggressionen haben dies nur best�tigt. In Folge
dessen wurde diese Kinder heimgeschickt und das Johannes Haus in ein Vollzeit-Sterbeheim
umgewandelt.
Zu meiner eigenen (nachtr�glichen) Verwunderung hat mir dieser Abweichung wenig Kummer
bereitet. Die W�rme, die das Sterbeheim umgibt und durchdringt, ist erstaunlich. Sterben
wird als ein Teil des Lebens angesehen und mit Ruhe akzeptiert. Seit meiner Ankunft haben
wir bereits zwei Patienten verloren. Ihr Tod und ihre Beerdigung waren eine friedvolles
und beinahe sch�nes Erlebnis.
Mein Job beinhaltet keine pflegerischen Arbeiten. Daf�r haben wir Krankenschwestern
und Angestellte, die das ordentlich machen. Ich assistiere Annelie beim Betreiben des
Sterbeheimes. Zur Zeit ist sie gerade nicht da, und ich versuche ihren Platz auszuf�llen,
was sich als schwierig herausstellt, da sie den Mittelpunkt der ganzes Einrichtung
darstellt und ich nur wenig Erfahrung habe. Aber ich tue, was ich kann. Meine Aufgaben
beinhalten das Abholen von Medikamenten von einem �rtlichen Krankenhaus, das Erledigen
von Eink�ufen, Verwaltungsarbeiten und den finanziellen Kram im Heim. Ich sp�re, da�
ich ein bi�chen mehr in der Pflegearbeit t�tig sein will, um eine andere Perspektive zu
bekommen. Aber letztendlich ist die Verwaltung auf die eine oder andere Art das, was ich
mein ganzes Leben lang gemacht habe. Ich lasse die ganze Sache mal auf mich zukommen und
halte Euch auf dem Laufenden.
Da ich in einer G�stewohnung des Heims wohne, sind das Leben und die Arbeit hier nicht
wirklich getrennt voneinander. Auf diese Art bin ich eigentlich immer anwesend. Ich wei�
noch nicht, ob das irgendwann mal zu einem Problem werden k�nnte, bisher zumindest ist
alles in Ordnung. Die Wohnung ist hell, ziemlich gro� und in einem guten Zustand, da sie
genau wie das Sterbeheim selbst erst neu gebaut ist (ungef�hr vor einem Jahr). Ich
bekomme auch meine Mahlzeiten hier im Heim; alles Sachen, die gesund f�r Dich
sind" aus dem biodynamischen Anbau der Ubuntu Farm. Klingt ziemlich beschr�nkt und
ist auf eine Weise auch schade, denn das Essen in Restaurants hier unten ist sehr billig,
und man hat eigentlich ziemlich viel Auswahl. Aber da ich einen Teil meines
Einkommens" in Verpflegung bekomme, ist das extra-Essen trotzdem relativ teuer.
Das bringt mich auf einige fr�he Eindr�cke des Landes S�dafrika. Zuerst solltet Ihr
wissen, da� ich mich in der Provinz Gauteng befinde, Buren-Herzst�ck" und die
vermutlich wei�este" aller Gegenden in S�dafrika. Pretoria ist eine
kolonialartige, wei�e, westliche Stadt. Es hat ausladende Vororte und ist �bers�t mit
gigantischen Einkaufszentren. Obwohl diese N�he zum Westen eine zu Beginn heimatliche
Bequemlichkeit darstellt, sage ich mir doch manchmal, da� dies nicht ist weswegen ich
hierher gekommen bin. Ich h�tte auch in Deutschland ganz gut einkaufen gehen k�nnen.
Mehr und mehr sehe ich jedoch wie polarisiert diese Gesellschaft ist. Bisher habe ich
gr��tenteils nur die wei�e Seite" des Landes gesehen. Sicherlich, es gibt
eine Menge Schwarze �berall, ob es die Kinder in der Schule, Fu�g�nger sogar in den
wei�esten Gegenden, Arbeiter auf der Farm oder die Angestellten im Sterbeheim sind. In
den meisten F�llen arbeiten sie jedoch f�r das wei�e Gesch�ft" und leben
anderswo: in den Townships au�erhalb der Stadt. Apartheid hat auf diese Weise
geographische Trennung verursacht. Ich bin bisher noch nicht in einem Township gewesen.
Dorthin zu gehen, ist f�r einen wei�en Touristen" keine gute Idee, da die
Kriminalit�t erschreckend ist und ich nicht gerade get�tet werden will. Aber ich habe
vor, eine unserer gro�artigen Krankenschwestern, Audrey, in Mamelodi Township demn�chst
zu besuchen. Auf diese Art hoffe ich, die andere Seite" von S�dafrika zu
sehen.
Es ist ziemlich peinlich, da� trotzdem die Wende" mittlerweile 9 Jahre her
ist, die alten Standpunkte immer noch dominieren. Sie werden nur weniger ausgesprochen.
Viele Wei�e behandeln Schwarze als unzuverl�ssige, kindische Menschen ohne Sinn f�r
Verantwortung und begegnen ihnen auf eine patriarchalische Art. Sie betrachten sich selbst
als Lehrmeister" der Schwarzen. Es kann einem ziemlich �bel werden, wenn man
das sieht.
Es ist wahr, da� zum Beispiel unsere Angestellten manchmal weniger Gef�hl f�r
Verantwortung zeigen als n�tig. Aber diese Art der Behandlung vergr��ert ihre
Abh�ngigkeit und blockiert ihre pers�nliche Entwicklung, die die Situation verbessern
k�nnte. Die resultierende Stagnation wird dann als Begr�ndung f�r die Notwendigkeit der
patriarchalischen Behandlung zitiert. Sowie ich mehr Erfahrung in diesem Punkt sammele,
hoffe ich tieferes Verst�ndnis mit Euch darin zu teilen.
Ich habe bereits die Kriminalit�t angeschnitten: Die �bergriffe und deren Brutalit�t
ist schockierend. Wir hatten hier w�hrend der letzten paar Monate mehrere Einbr�che,
zwei seit ich hier bin. Eine unserer Grundschullehrerinnen wurde von zwei Jugendlichen
durchs Kinn geschossen, nachdem sie ihnen am Stra�enrand mit etwas Sprit ausgeholfen
hatte. Eine merkw�rdige Art, Danke" zu sagen. Ein anderer Farmer wurde
ermordet, nachdem er sich geweigert hatte, einer Gang, die seinen Obststand in seinem
Township belagerte, sein ganzes Geld zu geben. Leute werden scheinbar wegen ihrer Schuhe
oder ihrer Armbanduhren get�tet, und einem be�ngstigend gro�en Anteil der Kriminellen
bedeutet ein Menschenleben �berhaupt nichts. Menschen werden einfach so"
erschossen, sogar nachdem sie sich von ihren Wertsachen getrennt haben. Ich gebe zu, da�
ich auch ein bi�chen Angst habe. Ich achte darauf, mich nicht nach Einbruch der
Dunkelheit in unsicheren Gegenden aufzuhalten und immer so zu tun, als ob ich mich
auskenne. Viele der schlimmsten Geschichten kommen aus Johannesburg. Pretoria ist
eigentlich daf�r bekannt bei Tageslicht eher sicher zu sein und au�erhalb der
Gefahrenzonen" zu liegen. Daher denke ich, wird mir mit etwas Aufmerksamkeit
schon nichts zusto�en.
Zum Ende noch ein positiver Gedanke: Das Bild einer echten Regenbogennation"
innerhalb einer Generation ist wirklich real. Ich sehe die Kinder hier in der Schule, und
es gibt tats�chlich jede Hautfarbe, Schwarze, Farbige, Wei�e, Asiaten; sie leben
miteinander in vollkommener Ungezwungenheit. Das ist gro�artig. Und wirklich, die Schule
im Ubuntu (Max-Stibbe-Schule) war eine der ersten, die Schwarze zugelassen hat, sogar
lange vor der Wende" schon. Und soweit ich das einsch�tzen kann, funktioniert
dieses Experiment! :)
Soviel von mir f�r heute. Ich werden in regelm��igen Abst�nden neue Berichte
aufsetzen sobald ich diesen Ort erkundet habe. Au�erdem hoffe ich der n�chsten
Ausgabe" ein paar Bilder beif�genzuk�nnen. Darum kommt m�glichst bald wieder
hier vorbei, und in der Zwischenzeit la�t mal per Email Eure Meinung h�ren.
Euer Ingo
Pretoria, den 20. September 1998